Geburshäuser eine natürliche und sichere Alternative
November 2002
von Bärbel Galeitzke, Hebamme Das erste Geburtshaus in Europa wurde im Mai 1986 in Wien gegründet. Hebammen und Ärzte arbeiteten und arbeiten dort noch immer in freier Praxis mit dem Ziel, frauen- und familienorientierte Geburtshilfe zu leisten. In den vergangenen 15 Jahren haben sich europaweit mehrere Dutzend Geburtshäuser gegründet, über 60 sind es in Deutschland. Geburtshäuser sind in der Regel von Hebammen geleitete Einrichtungen. Häuser oder Wohnungen, die gemütlich eingerichtet sind und für Gebärende eine ruhige Umgebung mit allen für eine Geburt dazu gehörenden Wohlfühleffekten haben: warme Farben, große Betten, Gebärbadewannen, Gebärhocker o.ä., Hilfsmittel zur Geburt in aufrechter Stellung, Licht das sich dämmen lässt, Düfte, Wärme, Musik... So können Frauen in ruhiger, aber auch sicherer Atmosphäre (Sauerstoff, Infusionszubehör, Absaugvorrichtungen etc.) im Geburtshaus ihre Kinder zur Welt bringen.
Nach 18 Jahren Hausgeburtshilfe entschloss ich mich, ein Geburtshaus (heute Geburtshaus Kreuzberg www.Geburtshaus-Kreuzberg.de) zu gründen, da mir die in der Hausgeburtshilfe doch nötigen 7 Tage, 24 Stunden Bereitschaft, einfach über den Kopf wuchsen und ich auch „mal“ frei haben wollte. Im Mai 1996 war es so weit: das erste Baby wurde im Geburtshaus Kreuzberg geboren. Auf dem Hocker, natürlich ohne Dammschnitt, Mutter und Kind wohl auf. Mittlerweile sind es fast 1000 Babys*, die in unserem Geburtshaus geboren wurden.
Als den größten Unterschied zur Klinik würde ich heute das Betreuungsverhältnis nennen. Im Geburtshaus besteht in der Regel ein Betreuungsverhältnis von 2 zu 1 (2 Hebammen, 1 Frau). Dies hat es nie und wird es nie in den Kliniken geben. Ich befürchte, durch den Trend in der Gesundheitspolitik wird die Betreuung unter der Geburt in den Kliniken immer schlechter. Schlechter deshalb, weil die nötige Aufmerksamkeit und Zuwendung, die eine Frau unter der Geburt dringend benötigt, Zeit und Personal bedeutet. Letzteres wird aus Sparmaßnahmen immer mehr gestrichen. Ich bin weit davon entfernt, Konkurrenz zu den Kolleginnen in den Kliniken zu verspüren, nein - ich kenne viele, die sehr gute, liebevolle, kompetente Hebammen sind, die aber durch den Alltagsbetrieb einer Klinik, eines Kreißsaales, nie ihre Fähigkeiten voll ausschöpfen können. 2 : 1 Betreuung bedeutet: eine Hebamme betreut eine Frau während ihrer Geburtsarbeit und zur Geburt kommt eine zweite Hebamme dazu. Um eine individuelle, menschenwürdige, natürliche Geburtshilfe zu leisten, braucht es Zeit. Zeit, um sich auf eine Frau zu konzentrieren, ihrem Charakter entsprechend Hilfe zu leisten, anwesend zu sein oder im Hintergrund nur zu beobachten, so wie Frau es gerade wünscht. Die Frau gewähren lassen - sie will laufen, sich bewegen, im nächsten Moment knien oder hocken, oder vielleicht zum dritten mal unter der Geburt in die Badewanne. Was sie auch möchte, wir versuchen ihr dieses zu ermöglichen. Geburtsarbeit ist schwer und oftmals sehr anstrengend. Wir, die Geburtshelferinnen, tun alles, um der gebärenden Frau diese Arbeit zu erleichtern und alle unnötigen Handhabungen zu vermeiden.
Als Hebammen leisten wir Geburtshilfe, die Frau hat sich Profis gesucht, ist nicht einfach in den Wald gefahren, um allein unterm Busch ihr Baby zur Welt zu bringen. Wo und in welcher Stellung die Frau auch ist, wir kriechen hinter ihr her um die Herztöne zu hören, untersuchen in fast allen Stellungen, beobachten ob alles gut verläuft. Wir betrachten uns als stille, im Hintergrund Beobachtende, lassen der Natur ihren Lauf und vermitteln der Frau das Gefühl, wir sind da, falls du mich brauchst. Wir geben Ratschläge, wenn Frau gar nicht mehr weiß was sie tun soll, erklären dem Mann/ Freund oder überhaupt den Begleitpersonen was sie tun können, wo was hilfreich ist, sein könnte. Selbstverständlich werden wir, wenn Abweichungen vom normalen Geburtsverlauf auftreten, uns anstrengen, diese mit rechtzeitiger, in erster Linie natürlichen Behandlungen zu korrigieren. Natürliche Behandlung bedeutet: Vorschlagen von optimalen Stellungen, Homöopathie, Wärme, Massagen, Bäder, Akupunktur, Tees - eben alles was die sanfte Medizin zu bieten hat. Die Frau entscheidet in welcher Stellung sie ihr Baby zur Welt bringt und dies ist hauptsächlich in der vertikalen Stellung: hockend, stehend, kniend oder im Wasser. Bei uns im Geburtshaus waren es im Jahr 2001 73% vertikale Positionen und außerhalb des Bettes. Von den knapp 27% der Frauen, die unsere Betten zur Geburt benutzten, waren wiederum die Hälfte in sitzender Stellung, angelehnt an ihre Begleitpersonen. Wir knien, hocken, kriechen ihr hinterher (hält uns Hebammen auch fit!). Wir bemühen uns um Dammpflege, um Schnitte oder größere Verletzungen zu vermeiden. Wir legen Kaffeekompressen auf den Damm zur besseren Durchblutung des Gewebes, wir massieren den Damm mit speziellen Ölen und lassen die Frau in ihrem Rhythmus drücken, schieben oder pressen, wie es ihr kommt! Das häufig zu beobachtende Powerpressen (heute noch in Kliniken häufig angewendet: Hebamme fordert Frau zum tiefen Luft holen auf und lässt pressen, pressen, pressen...), erinnert mich an Panik, Verfolgung und nicht an eine normale Geburt. Die Frauen bei uns können, bzw. sollen mit ihrem Gefühl schieben, es drückt ja auch, also wird sie schon was tun. Falls nicht und sie benötigt unsere Hilfe, bitte - sie bekommt was sie möchte. Wir hatten in der Tat in unserem ersten Jahr 5 % Dammschnitte, jedoch mit den Jahren haben auch viele Hebammen bei uns gelernt, die Routine aus der Klinik abzulegen im Vertrauen darauf, dass Geburtshilfe auch ohne invasive Eingriffe wie Dammschnitt möglich ist. Jetzt sind wir so weit, das wir im Jahre 2000 und 2001 jeweils 1 Dammschnitt zu verzeichnen haben, dies bei durchschnittlich 150 Geburten. In diesem Jahr sind bisher 149 Kinder geboren und es gab noch keinen einzigen Dammschnitt.
Wir lassen den Babys Zeit anzukommen, trocknen gemeinsam mit den Eltern das Baby mit vorbereiteten warmen, weichen Tüchern ab. Die Eltern nehmen ihre Babys auf den Arm, wenn sie es möchten. Das Abnabeln wird grundsätzlich den Eltern angeboten. Sobald die Nachgeburt geboren ist, ziehen wir uns als Hebammen wieder zurück und lassen die gewordene Familie genießen, Zeit zum Kennenlernen, Zeit dem Kind beizubringen woher zukünftig die Nahrung kommt. Dies können Frauen in der Regel gut allein und es stärkt ihr Selbstbewusstsein. Die nötige Erstuntersuchung wird im Beisein der Eltern stattfinden. Über empfohlene Prophylaxen wie Konakiongabe und Augentropfen müssen die Eltern entscheiden. Wir fordern sie schon während der Schwangerschaft auf, sich zu informieren und nach der Geburt uns zu sagen, was sie wollen oder nicht.
Klar gibt es unter der Geburt auch mal Komplikationen, dieses hat die Natur auch so eingerichtet und weder die gebärenden Frauen noch Hebammen sind Schuld. Komplikationen bedeutet aber in der Regel nicht - so immer noch die Argumente der Kritiker der außerklinischen Geburtshilfe (meist Ärzte) -, das die Komplikation vom Himmel fällt!! Die Regel ist, dass Abweichungen und Komplikationen sich ankündigen. Wie sollte so etwas besser beobachtet werden als bei einer 2:1 Betreuung.
Außerdem schwängern Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe nicht „nur“ die Luft mit Weihrauch, sondern sind in der Regel sehr fachkundige, sich ihrer großen Verantwortung bewusste Personen, die in Notfällen nicht nur klassisch mit Notfallmedikamenten umgehen können, sondern auch dürfen und müssen. In unserem Geburtshaus ist es Standart, dass wir freiwillig 2 mal im Jahr gemeinsam mit Kinderärzten solche Notfälle üben, frei nach der Devise, je weniger wir so etwas erleben um so häufiger muss es geübt sein.
Alle Frauen die bei uns gebären möchten, stellen sich während der Schwangerschaft in der benachbarten Klink vor (per Auto vier Minuten entfernt). Dort wird eine Kartei von ihr angelegt und lagert im Kreißsaal. Sollte es zu einer Verlegung unter der Geburt, in der Regel wegen zu erwartenden Komplikationen kommen, ist das Management (Klinik/ Geburtshaus) und die gegenseitige, anerkannte Kompetenz von wichtiger Bedeutung. Selbst bei Komplikationen, die ein sofortiges Handeln erfordert, braucht es Zeit,........ auch in jeder Klinik der Welt um nötige Vorbereitungen zu treffen. Kein Anästhesist hockt im Kreißsaal und wartet darauf dass er arbeiten kann, nein er muss gerufen werden und vorbereiten. Auch die gebärende Frau muss für die Operation vorbereitet sein.